Gedanken zum Beitrag von Michael Rüegg «Warum Monogamie moderne Sklaverei ist»
Hm… Wenn es nur um Sex ginge, wäre dem allem ja zuzustimmen. Gerade als spätberufener Ethologe bin ich jedoch skeptisch gegenüber dem Rückgriff auf die «Natur unserer Art». Im Lauf der Jahrtausende hat sich unsere Art ja weiter entwickelt, hat sich eine Kultur gegeben, und egal, ob diese Kultur durch Erziehung und Nachahmung oder epigenetisch auf uns einwirkt: sie wirkt eben und prägt uns. Nun kann man die Monogamie natürlich als Zweierkiste abtun, die einst vom Bürgertum entwickelt wurde, weil das der Entwicklung des Kapitalismus förderlich war. Das hat was; ich bezweifle aber, dass das schon die ganze Geschichte ist.
Wenn es nicht nur um Sex geht, worum dann noch? Wenn zwei Menschen beschliessen, ihre Leben zu verbinden, tun sie es klugerweise kaum nur darum, weil sie dann täglich Sex miteinander haben können. Erstens wird es in vielen Fällen bald eh nicht mehr täglich geschehen, und zweitens wäre Sex für sich allein ja einfacher zu haben, wenn mensch es wirklich hierauf anlegt: mal hier, mal dort, nicht täglich, dafür ohne Verpflichtungen.
Wenn zwei Menschen sich zu einer Partnerschaft entschliessen, was selten von heute auf morgen eintritt, spielen ausser der Anziehung von Leibern und Seelen (ja, die auch!) ganz alltägliche Gründe mit: nicht alleine durchs Leben zu gehen, jemandem besonders vertrauen zu können, Hilfe zu bekommen in Dingen, die man nicht so gut kann, Probleme gemeinsam zu lösen, et cetera. (Vorsicht, Falle: Mann holt Kohle, Frau macht Haushalt – das muss freilich nicht die Arbeitsteilung sein, die ein Paar für sich bestimmt, wenn es denn gemeinsam bestimmt.) Sich gegenseitig zu unterstützen kann über den Alltag hinaus heissen, sich am Sein des andern zu freuen, im besten Fall gar sich gegenseitig zu fördern.
Soweit zur Kultur. Und was ist nun mit dem Sex in einer Beziehung, die ein hohes Niveau des gegenseitigen Vertrauens erreicht hat? Wenn er dadurch besser, erfüllender wird, was würden mir gelegentliche Abenteuer mit einer andern Person denn bringen, zumal mit einer Person, die ich ja «nur für Sex» benütze? Aber wenn alle einverstanden wären damit, meine Partnerin, die benützte Person und ich selbst als temporär Benützter? Was hinterlässt es als Spur in der Beziehung zwischen mir und meiner Partnerin, wenn ich offen mit ihr (oder sie mit mir) darüber rede? (Nicht darüber zu reden wäre noch problematischer; denn das «Andere» ist oder war ja nun mal da und auch im Schweigen spürbar.) Lässt sich der Sex sozusagen als Materie («es geht ja nur um das Körperliche») so einfach trennen von allem, was ein Paar verbindet? Und was hiesse das dann für die künftigen sexuellen Erlebnisse dieses Paars?
Ja, unsere Urvorfahren haben Sex wohl ganz anders gelebt, und zur Erhaltung der Art war das gewiss unerlässlich. (Damit unsere Art überlebt, sind heute vollkommen andere Massnahmen nötig, und zwar rasch). Die Menschen der Steinzeit haben in einer ganz anders strukturierten Gesellschaft gelebt, in relativ kleinen Gruppen, die kollektiv für das Wohl ihrer Mitglieder sorgten. Davon können wir in der durch Industrialisierung und Überbevölkerung geprägten Massengesellschaft nur träumen – oder selber den Versuch eines Kollektivs wagen, der in den meisten Fällen leider scheitert, weil die herrschenden Bedingungen dafür sehr ungünstig sind (oder weil gelungene Versuche von diesen Bedingungen gern aktiv zerstört werden, wie die Geschichte des Anarchismus zeigt). Wir sind also darauf angewiesen, im Kleinen aufeinander zählen zu können, um gegenüber dem Grossen zu bestehen. Neben den oft brüchigen Bindungen innerhalb der Herkunftsfamiie und den wenigen unverbrüchlichen Freundschaften, auf die ein Mensch in seinem Leben zählen darf, ist die Paarbindung ein Modell dafür, Vertrauen und Unterstützung zu finden in der Auseinandersetzung mit einer anonymen, anteilnahmslosen Umgebung, welche die unserer Art eigene gegenseitige Hilfe (Kropotkin) längst der Abhängigkeit von Versorgerstaat und Versicherungsgesellschaften geopfert hat. Ein bürgerliches Modell? Geschenkt; wo ist derzeit eine Alternative greifbar? Und wenn das Neue nur aus dem Alten wachsen kann, warum das Wenige aufs Spiel setzen, was wir in der Hand haben?
Nein, ich bin kein vorbildlicher Monogamist, im Gegenteil. Mein Plädoyer richtet sich auch gegen mich selbst. Ich habe in vielen Paarbeziehungen gelebt, in einer nach der andern, manchmal nahtlos aneinander schliessend, selten mal für kurze Zeit nebeneinander und dabei ohne offenes Gespräch, wie ich lernend gestehen muss; aber im Kern seriell monogam. Das Entscheidende dabei ist für mich, offen und verantwortungsvoll in eine Trennung zu gehen und die verlassene Partnerin soweit zu unterstützen, dass sie selbständig weiter gehen kann, und dass gemeinsame Kinder (die oft froh sind, wenn die Spannung weg ist) möglichst wenig darunter leiden (auch wenn ich manchmal zweifle, ob mir das gut gelungen sei).
Und jedes Mal, wenn ich eine neue Paarbeziehung eingehe, ist da die Hoffnung, dass es diesmal besser gehen möge und dass ich gelernt habe, dafür Sorge zu tragen. Nicht, weil ich Sklaverei und Stress will, sondern weil ich Geborgenheit in einer unwirtlichen Gesellschaft suche und geben möchte. Und wenn es erneut nur für eine beschränkte Zeit sein sollte, so doch dies.
Hm… Wenn es nur um Sex ginge, wäre dem allem ja zuzustimmen. Gerade als spätberufener Ethologe bin ich jedoch skeptisch gegenüber dem Rückgriff auf die «Natur unserer Art». Im Lauf der Jahrtausende hat sich unsere Art ja weiter entwickelt, hat sich eine Kultur gegeben, und egal, ob diese Kultur durch Erziehung und Nachahmung oder epigenetisch auf uns einwirkt: sie wirkt eben und prägt uns. Nun kann man die Monogamie natürlich als Zweierkiste abtun, die einst vom Bürgertum entwickelt wurde, weil das der Entwicklung des Kapitalismus förderlich war. Das hat was; ich bezweifle aber, dass das schon die ganze Geschichte ist.
Wenn es nicht nur um Sex geht, worum dann noch? Wenn zwei Menschen beschliessen, ihre Leben zu verbinden, tun sie es klugerweise kaum nur darum, weil sie dann täglich Sex miteinander haben können. Erstens wird es in vielen Fällen bald eh nicht mehr täglich geschehen, und zweitens wäre Sex für sich allein ja einfacher zu haben, wenn mensch es wirklich hierauf anlegt: mal hier, mal dort, nicht täglich, dafür ohne Verpflichtungen.
Wenn zwei Menschen sich zu einer Partnerschaft entschliessen, was selten von heute auf morgen eintritt, spielen ausser der Anziehung von Leibern und Seelen (ja, die auch!) ganz alltägliche Gründe mit: nicht alleine durchs Leben zu gehen, jemandem besonders vertrauen zu können, Hilfe zu bekommen in Dingen, die man nicht so gut kann, Probleme gemeinsam zu lösen, et cetera. (Vorsicht, Falle: Mann holt Kohle, Frau macht Haushalt – das muss freilich nicht die Arbeitsteilung sein, die ein Paar für sich bestimmt, wenn es denn gemeinsam bestimmt.) Sich gegenseitig zu unterstützen kann über den Alltag hinaus heissen, sich am Sein des andern zu freuen, im besten Fall gar sich gegenseitig zu fördern.
Soweit zur Kultur. Und was ist nun mit dem Sex in einer Beziehung, die ein hohes Niveau des gegenseitigen Vertrauens erreicht hat? Wenn er dadurch besser, erfüllender wird, was würden mir gelegentliche Abenteuer mit einer andern Person denn bringen, zumal mit einer Person, die ich ja «nur für Sex» benütze? Aber wenn alle einverstanden wären damit, meine Partnerin, die benützte Person und ich selbst als temporär Benützter? Was hinterlässt es als Spur in der Beziehung zwischen mir und meiner Partnerin, wenn ich offen mit ihr (oder sie mit mir) darüber rede? (Nicht darüber zu reden wäre noch problematischer; denn das «Andere» ist oder war ja nun mal da und auch im Schweigen spürbar.) Lässt sich der Sex sozusagen als Materie («es geht ja nur um das Körperliche») so einfach trennen von allem, was ein Paar verbindet? Und was hiesse das dann für die künftigen sexuellen Erlebnisse dieses Paars?
Ja, unsere Urvorfahren haben Sex wohl ganz anders gelebt, und zur Erhaltung der Art war das gewiss unerlässlich. (Damit unsere Art überlebt, sind heute vollkommen andere Massnahmen nötig, und zwar rasch). Die Menschen der Steinzeit haben in einer ganz anders strukturierten Gesellschaft gelebt, in relativ kleinen Gruppen, die kollektiv für das Wohl ihrer Mitglieder sorgten. Davon können wir in der durch Industrialisierung und Überbevölkerung geprägten Massengesellschaft nur träumen – oder selber den Versuch eines Kollektivs wagen, der in den meisten Fällen leider scheitert, weil die herrschenden Bedingungen dafür sehr ungünstig sind (oder weil gelungene Versuche von diesen Bedingungen gern aktiv zerstört werden, wie die Geschichte des Anarchismus zeigt). Wir sind also darauf angewiesen, im Kleinen aufeinander zählen zu können, um gegenüber dem Grossen zu bestehen. Neben den oft brüchigen Bindungen innerhalb der Herkunftsfamiie und den wenigen unverbrüchlichen Freundschaften, auf die ein Mensch in seinem Leben zählen darf, ist die Paarbindung ein Modell dafür, Vertrauen und Unterstützung zu finden in der Auseinandersetzung mit einer anonymen, anteilnahmslosen Umgebung, welche die unserer Art eigene gegenseitige Hilfe (Kropotkin) längst der Abhängigkeit von Versorgerstaat und Versicherungsgesellschaften geopfert hat. Ein bürgerliches Modell? Geschenkt; wo ist derzeit eine Alternative greifbar? Und wenn das Neue nur aus dem Alten wachsen kann, warum das Wenige aufs Spiel setzen, was wir in der Hand haben?
Nein, ich bin kein vorbildlicher Monogamist, im Gegenteil. Mein Plädoyer richtet sich auch gegen mich selbst. Ich habe in vielen Paarbeziehungen gelebt, in einer nach der andern, manchmal nahtlos aneinander schliessend, selten mal für kurze Zeit nebeneinander und dabei ohne offenes Gespräch, wie ich lernend gestehen muss; aber im Kern seriell monogam. Das Entscheidende dabei ist für mich, offen und verantwortungsvoll in eine Trennung zu gehen und die verlassene Partnerin soweit zu unterstützen, dass sie selbständig weiter gehen kann, und dass gemeinsame Kinder (die oft froh sind, wenn die Spannung weg ist) möglichst wenig darunter leiden (auch wenn ich manchmal zweifle, ob mir das gut gelungen sei).
Und jedes Mal, wenn ich eine neue Paarbeziehung eingehe, ist da die Hoffnung, dass es diesmal besser gehen möge und dass ich gelernt habe, dafür Sorge zu tragen. Nicht, weil ich Sklaverei und Stress will, sondern weil ich Geborgenheit in einer unwirtlichen Gesellschaft suche und geben möchte. Und wenn es erneut nur für eine beschränkte Zeit sein sollte, so doch dies.