Echte tiefe Freude ziehe ich im Moment eigentlich nur aus meinem Beruf. Zu nachtschlafender Zeit eine Eisenbahn durch die Gegend zu fahren - gerade jetzt in der Weihnachtszeit, wo man oft auf Augenhöhe einen unverblümten Blick in die erleuchteten Wohnstuben hat. Und auch wenn das Eisenbahnfahren ständige Konzentration erfordert, so bleibt doch oft auch Zeit die Gedanken etwas spielen zu lassen: Hinter jedem Fenster ein Schicksal: mal Freude, mal Leid, Langeweile, Aufregung, Einsamkeit, Zweisamkeit... Weihnachtlich geschmückte Wohnstuben oder kahle Wände. Dann ein Bordell mit Nümmerchen an den Fenstern und rotem Dämmerlicht im Inneren, der Swingerclub im Dreisdreick...
Ich liebe das, diese ungeschminkten Seiten, die man meist nur von der Bahnseite aus sieht: Vorne hinter ordentlich gepflegten Vorgärten das Feiertagsgesicht, hinten dagegen ungeschminkte Ansichten, das wahre Leben.
Dann denke ich oft, dass es mir doch eigentlich sehr gut geht, auch wenn einige Bereiche im Leben nicht wirklich funktionieren. Man kann eben nicht alles haben. Immerhin, die Lok ist warm, und moderne Fahrzeuge bieten sogar einen Fahrkomfort, den man in den meisten Autos nicht findet.
Eines kann in solchen Nächten allerdings besonders schlimm sein: Die Angst davor, jemandem zu "begegnen" der keinen anderen Ausweg mehr findet als seinem Dasein ein gewaltsames Ende zu setzen. Die Angst davor, gerade in solchen Nächten missbraucht zu werden und einen Menschen tot fahren zu müssen! Man hat ja keinerlei Chancen dem auszuweichen, wenn es denn auf einen zu kommt. Statistisch passiert es jedem Lokführer in seiner Laufbahn mindestens ein mal. Ich blieb bislang verschont, aber ich wüsste nicht wie ich damit fertig werden würde. Viele können die Erinnerungen an die Ansichten, an die Geräusche und an die Gerüche nicht mehr ertragen und müssen den Beruf wechseln. Einer hat sein Leid beendet, aber dafür viele Andere ins Leid gestürzt: Angehörige, Freunde, aber auch Unbeteiligte wie zufällige Zeugen, den Lokführer sowie die Rettungskräfte. Unfassbar, aber es passiert alleine in Deutschland jeden Tag zwei mal!
Trotzdem lasse ich mir dadurch meinen Traumjob nicht vermiesen, zumindest nicht im Vorhinein. Daher zu den Plänen und Zielen: Meinen berufliches Arbeitsfeld auszuweiten, neue Strecken, neue Züge, ein sicheres Einkommen, Gesundheit. Einen Tannenbaum im Zimmer brauche ich dazu nicht.
Auch vom alten Sack ein frohes Fest!