wenn liebe krank macht

enfantfou

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08. Aug. 2002
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liebe und tod. dieses thema wurde in letzter zeit vermehrt angeschnitten und beschäftigt mich sehr.

wir alle haben ein bedürfnis nach zuneigung, wir möchten beschützt, festgehalten, geliebt und beachtet werden. die eigenen gefühle mit einem geliebten menschen teilen, mit ihm das leben entdecken, höhen und tiefen durchleben, gemeinsam schwach sein, um gestärkt aus der krise hervorzugehen - was gibt es schöneres? auch ich lebe davon, dass immer wieder irgendwo irgendjemand auf mich wartet.

liebe ist wunderschön - solange sie unseren bedürfnissen nachkommt und uns gibt, wonach wir uns sehnen.

oft genug ist es ja nicht so. oft genug nimmt sie uns wieder weg, was sie uns gegeben hat, die liebe, und fragt nicht nach, ob wir damit einverstanden sind.

das tut weh, immer. ist ein riesiger schock. reisst uns in ein bodenloses loch, und es gelingt uns zunächst nicht mehr, aufzustehen. und wenn wir doch einmal so weit sind, dann überkommt's uns plötzlich wieder, aus heiterem himmel, mit einer heftigkeit, dass uns übel wird, dass wir weinen müssen und kotzen könnten vor lauter schmerz. "was hab ich diesem menschen denn getan", brüllt eine stimme in unserem kopf, "dass er mich so behandelt? ich liebe ihn doch, ich will ihm nur gutes und hätte gerne ein bisschen davon zurück, längst nicht so viel, wie ich ihm zu geben bereit bin, aber ab und zu ein zeichen, ein lächeln, ein gutes wort.

und wir wissen nicht, wohin mit unserer liebe.

wir sehen den geliebten menschen und können uns nicht entscheiden: sollen wir lachen oder weinen oder uns das herz halten, weil es so schmerzt? es dauert lang, manchmal viel zu lang, bis wir wieder so weit sind, uns aus unserer trauer zu schälen. manchmal gelingt es uns auch gar nicht, und wir gehen den ganzen tag wie auf brüchigen schalen, möchten uns bei der geringsten erschütterung verkriechen, unter der bettdecke oder hinter einem baum, und so tun, als wären wir gar nicht da.

manche schaffen es und stehen trotzdem irgendwann wieder gerade. bei anderen wird es schwieriger. weil sie geliebt haben bis zur selbstaufgabe. weil sie ihr ganzes leben in die hände ihres partners gelegt haben, und ihre selbstverantwortung gleich mit.

und das ist es, was mich so beschäftigt! auch ich bin schon hingefallen und konnte lange nicht mehr aufstehen. weil es nunmal schwierig ist und weh tut, loszulassen!

aber dann kommen welche und sagen, dass sie sich umbringen möchten. und geben die schuld an ihrem ableben dem menschen, den sie angeblich lieben. damit begeben sie sich einerseits in eine quälende abhängigkeit und weisen gleichzeitig jede selbstverantwortlichkeit von sich. die beweggründe dahinter kann ich nachvollziehen: wenn wir anderen die schuld zuschieben, fühlen wir uns zunächst entlastet, weil wir dann nicht über unseren eigenen anteil an der situation nachdenken müssen. das ist natürlich bequem.

was mir zu denken gibt, ist die tatsache, wie viele es sind, die sich in einer beziehung dermassen verlieren und aufgeben, dass sie sich kein lebenswertes dasein mehr vorstellen können, wenn sie einmal wieder auf sich selbst gestellt sind.

für mich hat das weniger mit selbstsucht und egoismus denn mit mangelndem selbstbewusstsein zu tun.

schlimm wird es vor allem, wenn menschen, die unsicher sind, die tendenz haben, alles, was sie selbst gerne wären, in den partner zu projizieren, statt selbst aktiv zu werden. diese menschen trifft eine trennung besonders hart, denn wenn der partner geht, nimmt er ja alles wieder mit. die versuchung ist gross, weiterhin passiv zu bleiben und die "schuld" (wenn man denn von schuld reden kann) auf den anderen abzuwälzen.

bis zu einem gewissen grad kann ich das nachvollziehen, allerdings nicht mehr dann, wenn man anfängt, richter zu spielen und anderen mit der strafe "tod" droht. da geht es m.e. nicht mehr um liebe, sondern um den verzweifelten versuch, jemanden gewaltsam an sich zu binden, jemanden zu besitzen, der eigentlich gehen möchte, und das finde ich verheerend.

denn nie, nie, nie im leben hat man das recht, jemanden zu besitzen!

"ja, soll denn etwas so schönes nur einem gefallen? die sonne, die sterne gehören doch auch allen", sang einst marlene dietrich, "ich weiss nicht, zu wem ich gehöre, ich glaub ich gehöre nur mir ganz allein."

ich bin überzeugt, dass jeder für sein leben, für sein wohlbefinden, sein glück und seine erfolge selbst verantwortlich ist. was nicht heisst, dass man ein leben im alleingang führen soll, im gegenteil: man hört ja im leben nie auf, von anderen zu lernen.

es ist aber ein himmelweiter unterschied, ob man "bloss" von anderen lernt oder ob man so weit geht, sich über andere zu definieren. letzteres endet immer in abhängigkeit,

den kern eines gesunden selbstbewusstseins findet man aber nur in sich selbst.

ich wüsste gerne, wie ihr darüber denkt

alles liebe

enfantfou

 
liebes enfantfou

das hast du sehr schön beschrieben. ich habe mal einen text gefunden, der hier auch irgendwie schön dazu passt:

'Wir brauchen Mut und die Überzeugung, für unser Leben voll verantwortlich zu sein, um zulassen zu können, dass andere Menschen nach ihrem eigenen Gesetz leben, sich entwickeln und aufblühen. Unsere Verantwortung bezieht sich auf unsere gesunde Entwicklung, nicht auf die Kontrolle über das Leben eines anderen. Es fällt uns nicht leicht, einen anderen Menschen gewähren zu lassen, von dem wir uns wünschen, er möge mit uns einen bestimmten Lebensabschnitt teilen. Doch gibt es auf der Welt keine zwei Menschen, die gleichzeitig für die gleiche Erfahrung bestimmt sind. Vielmehr muss jeder seinen eigenen Weg finden und die Chancen ergreifen, die seiner Seele im tiefsten entsprechen.

Unser Bedürfnis, andere Menschen zu leiten und beherrschen, stammt in der Regel aus unserer eigenen Unsicherheit. Weil wir nicht genügend an unseren eigenen Wert glauben, suchen wir Bestätigung, indem wir uns die Anhänglichkeit eines anderen Menschen sichern. Mit der Zeit wird daraus ein Ersatz für unser eigenes Leben. Wir können das Verhalten eines anderen Menschen nicht dauerhaft lenken - und doch versuchen wir es. Und je mehr wir uns bemühen, desto grösser wird die Kluft zwischen uns und dem anderen. Das einzige, worauf wir uns letzten Ende verlassen können, ist die innere Gewissheit, dass jeder Mensch sich in der ihm eigenen Gangart entwickelt - begleitet von denen, die seinen Weg teilen. Wir können nicht erzwingen, was nicht vorgesehen ist.’

 
Hm, es ist ein schwieriges Thema, was Du hier anschneidest, enfantfou.

oft genug ist es ja nicht so. oft genug nimmt sie uns wieder weg, was sie uns gegeben hat, die liebe, und fragt nicht nach, ob wir damit einverstanden sind.
Ich denke nicht das es an dem ist. Ich fürchte eher das es nicht unser Herz ist, dem wirklich genommen wird.

Es ist eher unser Geist, der dem Herzen nimmt.

Wenn man liebt, dann liebt man auch ohne Gegenliebe.

Liebe ist ein sehr positives und starkes Gefühl, was aber oft sehr negativ wird, weil unser Kopf uns an diesen Gefühlen zweifeln läßt.

Wenn der Mensch, den ich liebe, merkt, daß er jemand anders liebt, dann ist er glücklich.

Sicher geht das auf meine Kosten, aber ist es nicht wichtig, daß er glücklich ist?

Wenn er noch an meiner Seite wäre, wäre er nichtmehr glücklich, da er selber nun jemand anders liebt.

Wenn man nun diese schmerzhafte Freude positiv für sich arbeiten läßt, ist der Schmerz immernoch da, aber bei weitem nichtmehr so negativ.

Das was das ganze immer schmerzhaft macht, sind die nicht emotionalen Verhaltensweisen eines selbst und des Gegenübers.

Man merkt erst, daß man wegen Gefühlen vertraut hat, und das Vertrauen weg ist, nun da die Gefühle so ... seltsam sind.

Man ist plötzlich überreizt, genau wie der andere auch und es fallen schnell Dinge, die nicht sein müßen und Wunden reißen.

Und da man selber noch liebt, kann man sich nichtmal schützen ...

Ich bin von meinem Wesen her sehr freiheitsliebend, was ich natürlich auch in meine Beziehungen mit hineintrage.

Ich lebe mich, in einer Beziehung, und ich lebe uns.

Doch genauso, wie ich auch immer ein Auge auf mich habe, so habe ich es auf den anderen, und das der andere es auch so sieht.

Liebe bis zur selbstaufgabe mag für viele bewundernswert, verängstigend oder einfach nur idiotisch sein, aber es gibt Menschen, die so leben und nur so leben wollen. Meist nichtmal bewußt.

Für mich ist es elementar wichtig, daß ich genau 50% der Verantwortung in einem "wir" trage, und genauso wichtig ist es, daß der andere die 50% trägt.

Nur so, genau so, kann es in meiner Welt eine harmonisierende Beziehung geben.

Sobald man diese Aufgabe ins Extrem führt, wie Du selber es auch schreibst, wird es krankhaft oder besessen.

Die Menschen versuchen, über Mitleid ihren Wert nochmal zu steigern, was auch meist kurz gelingt, doch zahlen dann doppelt weil sich der andere ganz abwenden muß.

Im Rahmen des gesunden Egoismuß müßten diese Menschen sich selber sehen, ihren Wert und sich nicht über den Partner definieren, was sie aber schon lange getan haben.

Und vor dem Partner waren es andere Dinge, die ihr Selbstwertgefühl ersetzen.

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justsad, wo immer Du diesen Text gefunden hast, in vielen Dingen spricht er mir aus der Seele.

Als Mensch, der viel beobachtet, habe ich oft das Gefühl, die Dinge die sich entwickeln werden, zu sehen. Als seien sie vorprogrammiert. Natürlich nicht mit absoluter Gewissheit, aber mich doch rechter Sicherheit.

Schlimm ist es nur, wenn man den beobachteten Menschen darüber informiert, was man sieht, und das man sich Sorgen macht.

Alleine mit dieser Tatsache, verdirbt man sich unheimlich viel, obwohl man doch nur gutes will.

Aber was ist dann schon "gutes"?

Und schon sind wir von "liebe und tot" zu "Toleranz" gekommen.

 
buahh, enfantfou, das ist wunderbar, was du da geschrieben hast. deine worte sind mit so viel sensibilität, feingefühl und doch mit einer bestimmenden härt geschrieben. die wortwahl ist nahezu perfekt gepaart mit der nachhaltigkeit. ich werde mir diese zeilen noch öfters durchlesen. sie regen mich an und geben mir viel zu denken. danke.

gruss

ritter

 
dieser "beitrag" muss einen ja ansprechen, wenn man nur ein bisschen versucht zu "sehen". Superschön. überhaupt das ganze forum ist sehr schön und ganz feine leute tummeln sich hier. hoffentlich helfen deine zeilen auch all den viel zu verzweifelten, die sich selbst (noch?) so wenig sind.

 
dieser Beitrag von enfanfou ist wirklich sehr beeindruckend und spricht mir aus der seele.

Wow, wirklich toll in worte formuliert.

Dieser Beitrag gibt mir Kraft, denn ich fühle mich nicht alleine mit meinem Schmerz.

 
danke, kristall, für dein kompliment.

es freut mich, dass ich dir mit meinem beitrag ein bisschen helfen konnte.

denk dran: du bist nicht allein, auch wenn du dich zur zeit so fühlen magst. ich und mit mir viele andere sind gerne für dich da und hören dir zu.

alles liebe und viel kraft

enfantfou