zwichen den Zeilen

casandra

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21. Sep. 2002
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Trotz der Allgegenwärtigkeit des Meereswassers werde ich erst jetzt eines Durstes gewahr, der sich bereits als ein Gefühl zweier den Hals umspannender, zudrückender Hände bemerkbar macht.

Ich verwerfe den Gedanken auf ein erlösendes Getränk; zu schön ist der Anblick sich reflektierender Sonnenstrahlen auf der sich leicht bewegenden Wasseroberfläche.

Diese unendliche Weite der sich vor mir erstreckenden Urgewalt ist so wundervoll, - doch wie beschreibt man Empfindungen für die Einzigartigkeit von Schönheit, Liebe, Hass, Farben... ?

Wie die Farbe dieses Elements beschreiben, die sich mit den Farbtönen des sich im Wasser spiegelnden Himmels vereint?

Wie beschreiben, was einem die Summe aus Sehen, Schmecken, Riechen, Hören und Fühlen, vermischt mit dem, was unseren Erfahrungen entspricht, vermittelt?

Ich gebe mich all dem hin, sauge es in mich hinein, erfreue mich dessen, was mich überwältigt, - dessen, was das Leben lebenswert macht.

Wie viele Sonnenuntergänge hatte ich in meinem Leben schon sehen können, doch, so bitter es auch klingt, erst jetzt, vom Meer aus betrachtet, offenbarte sich mir das tatsächliche Ausmaß dieses Ereignisses.

Gut ein Drittel des rotglühenden Feuerballs ist bereits am Horizont verschwunden; verheißungsvoll verlässt er mich mit einem Abschiedsgruß, der sich von Purpur bis hin zu einem leuchtenden Gelb über mir zeichnet.

Bei dem Anblick des Glitzerns und Funkelns fühle ich mich wieder zurückversetzt in die Zeit meiner Jugend, als mir träumen, ein Traum und die Erfüllung eines Traumes noch mehr bedeuteten, als das Abwägen von dem was ist, was sein könnte und was niemals sein wird.

Ich sehe ein riesiges Feld, ein Feld sich so weit hinziehend, wie das Auge schauen kann.

Angefüllt mit Tausender bunter Blumen, deren schillernde Farben das Sonnenlicht einzusaugen scheinen, um es dem Betrachter noch schwerer zu machen, sich ihnen entziehen zu können.

Ich weiß noch ganz genau, wie ich vor diesem Feld stand, unfähig die Augen zu schließen, voll Ehrfurcht erstarrt für eine schier endlose Zeit.

Irgendwann zog ich meine Schuhe und Strümpfe aus, stopfte alles in meinen Beutel und wagte zwei Schritte in das Feld.

Ein wenig piekste es unter meinen Fußsohlen, ein wenig kitzelte es.

Manche der Gräser und Blumen reichten mir bis zu den Schultern, und als ich ein paar weitere Schritte in das Feld hinaus getan hatte, konnte ich außer ihnen auch nichts mehr von der Straße sehen.

Doch mein Vater hatte mir beigebracht, mich an der Sonne und den Sternen zu orientieren, so dass ich meiner Freude freien Lauf ließ und begann, mich um mich selbst zu drehen.

Erst sehr langsam, dann immer schneller und schneller, laut mein Glück hinausschreiend, auf das es die Welt mit mir teile.

Schwindlig geworden fiel ich auf den Boden, und eine kleine Zeit später erhob ich mich und begann zu rennen, wie ich noch nie gerannt war. Weiter und weiter in das Feld hinein bis ich nicht mehr konnte.

Dann legte ich mich hin, schloss die Augen und lauschte einfach nur den Stimmen der Insekten und des Windes, der über das Feld wehte.

Es war so wunderschön gewesen, dass ich mich noch heute, sehr viel später, daran erinnern konnte, als sei es gestern gewesen.

Ich merke, wie sich unmerklich ein Lächeln auf mein Gesicht geschlichen hat, während der Gedanken an diese Zeit.

Die Sonne ist indes ein gutes Stück tiefer hinter dem Horizont versunken; sie hat nun ein tiefes Orange und lässt ihre Umgebung in Abstufungen davon erscheinen.

Aber jeder ist ein Gefangener seiner selbst, und ich habe gemerkt, dass mich solche Momente träumen lassen, - träumen lassen von Dingen, die vielleicht nie passiert sind, Dingen, die nicht hätten passieren dürfen, Dingen, die so einschneidend waren, dass sie mich für immer geprägt haben.

Manche davon klein und zunächst unbedeutend, andere stärker.

Und träumen lassen von den Menschen, die ich einst kannte, bewunderte und liebte, oder denen ich nie geschafft näher zu kommen.

Ich schaue wieder bewusst auf das Meer, ohne an etwas Bestimmtes dabei zu denken.

Vertrauend auf die hypnotische Wirkung, die es auf mich hat.

Tatsächlich lässt mich dies Beständige auf und ab der Wellen bald merken, wie sich eine weitere Erinnerung meiner bemächtigt.

Ich versuche mich dem nicht zu widersetzen, versuche die Augen geöffnet zu halten, um meinen Träumereien Vorschub zu leisten.

Bald sehe ich nur noch die Wellenbewegungen, die ich in Gedanken mit der Hand nachfahre.

 
Original von casandra Ich wollte dir ein Gedicht schreiben,

ein Gedicht –

ganz aus Liebe,

die Du spürst in jedem Wort,

und ich war mir ganz sicher,

Du würdest es verstehen –

auch wenn Du weit weg von mir bist.

Doch bald musste ich einsehen,

dass sich Liebe nicht auf ein Blatt Papier zwängen lässt.

Ich wollte Dir ein Gedicht schreiben -

einfach um Dir zu zeigen,

jemand liebt Dich.

Doch bald musste ich einsehen,

dass sich die Kraft eines Augenblicks,

das Gefühl, Du bist bei mir,

nicht durch einen Brief ersetzenlässt.

Ich wollte dir ein Gedichtschreiben –

voll Hoffnung,

die Dich ermutigt, wenn Du am Boden zerstörst bist,

und Dich stärkt, wenn Du verzweifelt bist.

Doch wieder waren mir die Worte beim Schreiben im Weg.

Und ich begann sie zu hassen,

diese Worte,

die alles so erschreckend nüchtern wirken lassen,

die der Phantasie strikte Grenzen setzen

und wie eine unüberwindbare Mauer,

eine Mauer von Missverständnissen,

zwischen mir und den Menschen stehen.

Mir wurde klar,

wenn dieser Brief Dich -

Dich und nicht nur Deine

Adresse erreichen sollte,

dann musste ich diese Mauer überwinden.
 
Es ist dunkel, verdammt dunkel. Ich kann kaum was sehen. Nur ab und zu drängt sich der Mond durch die dicke Wolkendecke und gibt den Blick frei auf die gespenstische Gegend. Leere Straßen, kein Baum weit und breit, hohe Häuser. Niemand unterwegs. Nur ich. Und mein Verfolger. Ich kann ihn nicht sehen, aber ich weiß, er ist mir auf der Spur. Hin und wieder höre ich sein leises Tappen, aber wenn ich zurückschaue, sehe ich nichts als diese undurchdringliche Dunkelheit.

Erbarmungslos ungeschützt taumle ich vor mich hin, weiß nicht, woher ich komme, weiß nicht, wohin ich mich flüchten soll. Alle Eingänge verschlossen, alle Fenster verbarrikadiert. Ich versuche zu laufen, aber meine Füße kleben zäh am Asphalt. Mühsam zerre ich sie nach oben, um ein paar armselige Zentimeter weiterzukommen. Gleich wird er mich einholen. Ich höre ihn. Ich spüre ihn. Und ich komme nicht vorwärts. Sein Atem hat mich bereits erreicht. Seine Hand greift nach mir. Gleich hat er mich. Gleich ist es vorbei. Mein Schrei bleibt stumm, mich hört sowieso keiner. Zügellose Angst zerbirst meinen Körper, und während ich mit rasender Geschwindigkeit in die Unendlichkeit falle, wache ich auf.

Es ist immer noch dunkel. Angestrengt versuche ich herauszufinden, wo ich bin. Mein Kopf arbeitet wie verrückt. Da oben, rechts, schemenhaft, ein Fenster. Geradeaus, ein paar Meter weiter, noch eins. Und da links, ist da nicht eine Tür? Ja. Stimmt. Meine Augen durchdringen allmählich die Dunkelheit. Unter mir das schweißfeuchte Laken, über mir die weiche Daunendecke. Keine Gefahr mehr. Entspannen. Ganz langsam geben die Muskeln nach, ich atme tief durch. Neben mir atmet noch jemand.

Vorsichtig drehe ich mich nach rechts. Wer ist das? Wer atmet da, so ruhig, gleichmäßig und zufrieden? Plötzlich erinnere ich mich. Es ist mein Mann. Er liegt da, direkt neben mir, seine Wärme strahlt durch die Matratze, und ich rolle behutsam auf ihn zu. Er schläft ganz tief. Vorsichtig drücke ich auf den Lichtschalter und schaue ihn an - diesen Mann.

Seine lockigen Haare sind verwuschelt, sein Mund ist leicht geöffnet, die Augenlider flackern unmerklich. Er träumt. Sacht streichen meine Finger über seine Wangen, Nase und Lippen. Sein Mund schmatzt kurz ins trockene Nichts und schließt sich dann wieder. Sein Gesicht ist vollkommen entspannt, ganz ebenmäßig, wie aus Marmor gemeißelt: langer, schmaler Nasenrücken, fünf Längsfalten auf der Stirn, ein kleiner Leberfleck unter dem rechten Augenwinkel. Die Züge um den Mund wirken nicht so arrogant wie tagsüber, sondern erinnern an ein zufriedenes Kind. Und wenn ich genau hinschaue, sehe ich die gezackte Narbe auf der rechten Wange, Überbleibsel vom Fahrradunfall vor achtundzwanzig Jahren. Er wollte es allen zeigen, damals. Auch heute will er das noch, manchmal.

Ganz langsam ziehe ich die Bettdecke von seinem Körper. Da liegt er. Unschuldig wie ein Baby. Seine Arme sind vor der Brust gekreuzt und seine Finger zukken. Die Beine sind leicht angewinkelt, das rechte Knie über dem linken. Ich schiebe meine Hand auf seinen flachen Bauch und stecke meinen Zeigefinger in seinen Nabel. Er grunzt leise und dreht sich auf die andere Seite. Sein Gesicht gräbt sich tief in das weiche, große Kopfkissen.

Vor mir liegt seine hintere Hälfte: der lange Rücken, der kleine, stramme Hintern, die Beine, wieder angewinkelt.

Ich robbe auf ihn zu, zentimeterweise, drücke meinen Schoß an seinen Po, meine Brüste an seine Schulterblätter, stecke meine Nase in seinen Nacken, genieße seinen warmen Körpergeruch, kuschle mich in seinen Haaransatz, lasse meine Lippen seine Wirbelsäule hinunterwandern, küsse ganz leise seine blassen Halbkugeln und ziehe die Bettdecke wieder nach oben.

Dann drücke ich auf den Nippel an der alten Messinglampe.

Es ist wieder dunkel. Ich liege da, bewegungslos, höre sein Atmen, spüre seine Wärme, und während ein wohliges Gefühl durch meinen Bauch kriecht, weiß ich, daß der Verfolger mich nie kriegen wird. Denn dieser Mann neben mir paßt auf. Auch wenn er schläft.